Üblicherweise werden die „Augen“ eines Hauses, seine Fenster, möglichst symmetrisch angeordnet, zumindest jedoch proportioniert über die Fassade verteilt. Wer jedoch den Bruch mit dem Herkömmlichen anstrebt oder aus der Gewohnheit ausscheren will, platziert Fenster auch schon mal genau an der Ecke des Gebäudes.
Rein praktisch gesehen dienen Fenster profanen Zwecken: Sie sollen das Tageslicht herein lassen und gestatten, dass die Bewohner nach draußen blicken. Wir kennen es nicht anders, dass dieser Blick nur in eine Richtung gehen kann. Um die Ecke zu sehen, ist uns aus physikalischen Gründen leider verwehrt. Dem schafft ein Eckfenster Abhilfe, denn es ermöglicht uns, nach zwei Seiten gleichzeitig Ausschau zu halten und somit eine Art Rundblick zu genießen.ck nach zwei Seiten
Der Schriftsteller E. T. A. Hoffmann hat in seiner Erzählung „Des Vetters Eckfenster“ diesem Bauteil sogar einen poetisch-philosophischen Sinn verliehen. Der Vetter wohnt am Berliner Gendarmenmarkt und „aus dem Fenster eines kleinen Kabinetts übersieht er mit einem Blick das ganze Panorama des grandiosen Platzes“. Das könnte uns lehren, wie eine gute Aussicht zu höherer Einsicht führt.
In der „art deco“, einer modernen Kunst- und Architekturströmung, stellen Eckfenster ein Stilelement mit ebenfalls tieferem Sinn dar. Während ein herkömmliches Fenster eher unauffällig wirkt und Normalität ausdrückt, fällt ein Nischenfenster – ideel gesehen –
aus dem Rahmen. Dahinter steckt ein einfacher, aber sehr wirkungsvoller Gedanke: Rücke das Fenster an eine ungewöhnliche Stelle und du erzielst mit einfachen Mitteln eine beeindruckende Wirkung. Eckfenster verleihen einem Gebäude schlichte Eleganz. – Und sie haben obendrein ein höchst praktischen Nutzen: Rücken zwei Fenster im Winkel eines Zimmers zusammen, entstehen an beiden Wänden größere Stellflächen. Mit einem Eckfenster wird der Raum obendrein vom Tageslicht besser ausgeleuchtet, als mit zwei separaten Fenstern.
So kommt es nicht von ungefähr, dass insbesondere Häuser in kubischer Architektur aus ästhetischen und praktischen Gründen Eckfenster erhalten. Auf unserem Titelfoto ist diese Bauart im eindrucksvoll dargestellt.
Bei Standard-Einfamilienhäusern sind Fensteröffnungen im Winkel von Räumen selten zu sehen. Das mag daran liegen, dass Nischenfenster tatsächlich nicht zu jeder beliebigen Fassade passen, dass der Bauherr nicht zu auffälligen Stilelementen neigt oder ihm die Kosten zu hoch erscheinen.
Möglicherweise gehört der Eigentümer sogar zu den Menschen, die meinen, ein Eckfenster störe unser Empfinden, weil das Haus instabil wirke; man spüre also im Unterbewusstsein, dass irgendetwas fehle, dass Mauern nicht schweben könnten.
Dazu heißt es beispielsweise in einem Feng-Shui-Blog: „Man ist immer auf der Hut, ob die Ecke und damit das ganze Haus nicht doch zusammenbrechen“. Ironisch ausgedrückt: Empfindsame Naturen denken beim Begriff „Fenstersturz“ eben an etwas völlig anderes als die Leute vom Bau.
Tatsächlich sind Fenster dieser Art statisch und baulich vergleichsweise leicht zu realisieren. Im einfachen Fall wird ein stählerner Stempel oder Träger möglichst unauffällig in der Hausecke platziert und zwei „normale“, handelsübliche Fenster werden daran angesetzt
! Wichtig: Eckfenster, welche vollständig aus Glas bestehen und keine stützende Funktionhaben, sind bis zu 30% teurer als herkömmliche Fenster. Hier muss bei der Planung unbedingt der Statiker einbezogen werden!
Der elegantere Fall ist natürlich eine frei tragende Konstruktion, in die ein nach Maß gefertigtes, „richtiges“ Eckfenster eingesetzt wird. Die Mehrkosten liegen bei 20-30%, gegebenenfalls auch höher, wenn über Eck gesetzte Rollladenkästen hinzu kommen.
Am praktischsten ist es natürlich, Eckfenster einzuplanen, wenn ein Neubau vorgesehen ist. Der vom Hausbauunternehmen beauftragte Architekt kann dann berechnen, welches maximale lichte Maß beim vorgegebenen Wandaufbau für die Fensteröffnung möglich ist.
In ein vorhandenes Haus lassen sich nachträglich auch Eckausblicke einbauen; allerdings darf dabei nicht blindlings losgelegt werden. Es ist in jedem Fall ratsam, vorher einen erfahrenen Statiker zu konsultieren. Er wird dann entscheiden, ob frei tragende Eckträger möglich sind und welche maximale Länge sie überspannen dürfen. Notfalls muss ein unterstützender Pfeiler in die Hausecke gesetzt werden. Wer sich die Stemmarbeiten selbst zutraut, sollte die schlichte Weisheit beherzigen, dass erst die Träger eingezogen werden, bevor man die Mauern darunter entfernt
Mit einer modernen Konstruktion lässt sich der ohnehin schon beachtliche Effekt eines Eckausblickes noch steigern:
Für den Betrachter sieht es dann so aus, als würde das Fenster frei schweben. Holz ist aus nachvollziehbaren Gründen für eine solche Ausführung eher nicht geeignet; man verwendet aus statischen Gründen vornehmlich metallische Rahmen.
Bei aller Ästhetik – einen Wermutstropfen muss der Inhaber solcher scheinbar frei schwebenden Fenster schlucken:
Öffnen lassen sie sich bei einem „unsichtbaren“ nicht mehr. Kritiker wenden bisweilen ein, dass bei dieser Konstruktion, auch „Ganzglas- oder Nurglasecke“ genannt, Wärmeverluste eintreten können. Namhafte Fensterhersteller wissen darum und bieten Lösungen an, auf die versierte Montagefirmen zurückgreifen, beispielsweise auf stabileres Mehrscheiben-Isolierglas. Es versteht sich, dass der grandiose Ausblick somit seinen Preis hat.
Ein Sonderfall ist ein bodentiefes (raumhohes) Eckfenster. Mit ihm erweitert sich die Aussicht auch noch in die Höhe. Bei den zwei möglichen Sichtachsen kann der Blick beispielsweise in den Garten schweifen oder sich – um 90° versetzt – auf die Terrasse richten.
Bodentiefe Eckfenstern erzielen eine besondere Wirkung, wenn die beiden Scheiben ungleich breit sind. Schon seit dem Altertum wird ein bestimmtes Teilungsverhältnis als „göttliche Proportion“ angesehen und gerade in der Architektur als ausgesprochen harmonisch empfunden: der Goldene Schnitt. Er entspricht annähernd einer Teilung im Verhältnis 1 : 1,68 oder 3 : 5 oder beispielsweise auch 5 : 8.
Rundfenster sind im klassischen Eigenheimbau sicherlich gewagt und werden gelegentlich als „Bullauge“ verspottet. Eckfenster dagegen sind ein Stilelement mit eigener Philosophie, immer mehr Hausbauunternehmen bieten Fenster über Eck inzwischen für ihre Hausmodelle an. Leider sieht man sie aber noch recht selten. Aber vielleicht ist genau das der Grund, warum sie an einem Gebäude so beeindruckend wirken?
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